Boualem SANSAL
HARRAGA

Roman
Deutsch von Riek Walther
388 S., Klappenbr., EUR 15,80

ISBN 978-3-87536-294-7

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"Harraga"

Boualem Sansals vierter Roman greift das Thema Migration bereits im Titel auf. "Harragas", so nennt man im Arabischen jene, die sich auf den Weg nach Europa machen. Unterwegs verbrennen sie ihre Papiere, damit sie nicht wieder abgeschoben werden können. "Harragas" haben somit keine Heimat mehr, sie sind als Staatenlose angesiedelt in einem Zwischenreich zwischen Hier und Dort. Lamia, die Protagonistin des Romans, ist Kinderärztin in einem Krankenhaus in Algier. Von ihrer Familie ist nur noch sie übrig geblieben, alle anderen sind tot oder haben sich, wie ihr Bruder Sofiane, nach Europa aufgemacht. Lamia bleibt in ihrer Heimat, völlig isoliert im Haus ihrer Eltern, ein Haus, dessen früheren Bewohner über die Zeiten hinweg die Geschichte Algeriens versinnbildlichen. Innerlich hat sie schon lange Abschied von ihrer von allen guten Geistern verlassenen Heimat genommen, sie ist eine "Harraga im Herzen".

Sansals Roman ist aber auch eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in einer islamisch geprägten Welt. Eines Tages steht Chérifa, eine sechzehnjährige Schwangere, vor Lamias Tür, vermeintlich mit einer Nachricht von Sofiane. Nach einem Streit verlässt Chérifa das Haus und kommt nicht wieder. Als unverheiratete, minderjährige Schwangere ist sie leichte Beute für die Männerclans in der Machowelt Algeriens. Lamia, angesteckt von Chérifas Lebensfreude, macht sich auf die Suche nach ihr. Nach einer abenteuerlichen Reise durch die fürchterlichen Abgründe der algerischen Hauptstadt findet sie schließlich Chérifas Kind. Chérifa selbst hat die Geburt nicht überlebt.

Bei aller Tragik sind in Harraga mit dem leisen Humor und einer subtilen Hoffnung neue  Komponenten in Sansals Werk eingezogen. Nach einem Martyrium auf den Straßen Algiers sucht die schwangere Chérifa Zuflucht in einem abgeschiedenen Kloster. Die Schwestern, obwohl sie selbst nur geduldet werden, kümmern sich um sie: "Ich weiß nicht, ob man sie im Krankenhaus überhaupt angenommen hätte, sie ist ... sie war minderjährig, allein stehend, schwanger und ... seltsam verkleidet ... Blida ist eine sehr konservative Stadt und fest in der Hand der Islamisten. Ich hatte Angst um Chérifa, sie sind so ... so ...", erläutert Schwester Anne Lamia, als diese endlich Chérifas Spur gefunden hatte. Damit das Kind nicht getötet wird, wie es die Tradition verlangt, verschweigen die Schwestern den Behörden die Schwangerschaft der Verstorbenen. Hier geht es nicht um einen Konflikt der Weltreligionen, sondern um ein entschiedenes menschliches Handeln, unabhängig der Gefahr, in die man sich dadurch begibt.


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