Boualem SANSAL
POSTLAGERND: ALGIER

Zorniger und hoffnungsvoller Brief an meine Landsleute. Gefolgt von "Unser Herz schlägt in Tunis". Vier Essays und ein Interview aus Anlass des arabischen Frühlngs
Deutsch von Ulrich Zieger, Daniel Eckert und Rainer Haubrich. Interview: Reiner Wandler
ca. 84 S., kartoniert
EUR 9,90
ISBN 978-3-87536-292-3


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"Postlagernd Algier"

Auch wenn sich der offene Brief natürlich an die Landsleute in und außerhalb Algeriens wendet, ist seine komplexe Bedeutung weit über den algerischen Kontext hinaus verständlich und wichtig. Zudem lässt sich an Postlagernd: Algier viel über das Menschenbild seines Autors ablesen. Boualem Sansal vertraut nicht den Mächtigen mit ihren immergleichen Spielen, nicht den Entscheidungsträgern im arabischen Raum oder in Europa. Vielmehr geht es ihm um eine wahrhaftige Demokratie, in der die Vision einer aufgeklärten Weltbevölkerung Gestalt annehmen könnte. Er, als exponierter Vertreter seiner Landsleute, wagt es, diesen Diskurs zu beginnen: "Meine bisherigen Bücher haben mich in den Augen vieler disqualifiziert. Ihr kennt diese Brüder, vielleicht haben sie auch euch eines Tages eins drübergezogen, es sind die selbsternannten Tempelwächter", beschreibt er seine Situation. "Sie lehnen mich als Algerier und als Muslim ab, beides verdanke ich meinen Eltern und nicht ihnen, sie verkünden öffentlich, dass die Nostalgie des kolonialen Jochs mich antreibt und dass ich an der Zerstörung der nationalen Werte arbeite."

Doch der Autor akzeptiert es nicht länger, dass die Diskussionen ständig unterlaufen werden, indem man alle Widerworte als "nicht algerisch", "nicht arabisch" oder "nicht islamisch" denunziert. So macht sich Boualem Sansal auf, die "nationalen Konstanten", also die oktroyierten Annahmen über sein Land zu hinterfragen und zu verwerfen. Hier schließt Boualem Sansal an internationale philosophische Debatten an, die die Macht der Identitäten und der nationalen Einheiten in einer globalisierten Welt neu denken und der Pluralität eine Gestalt geben wollen: "Wiederholen wir also bis man uns anhört: wir sind Algerier, das ist alles, vielfarbige und polyglotte Wesen, und unsere Wurzeln liegen überall auf der Welt. Das ganze Mittelmeer rauscht in unseren Adern, und überall an seinen sonnenbeschienenen Ufern haben wir unsere Samenkörner ausgesät." Was den algerischen Autor jedoch von den Diskutierenden in akademischen Zirkeln unterscheidet, ist, dass er seine Thesen mit Alltagsleben füllt und dass er auf ihre Umsetzung pocht, ja pochen muss, will er in seinem Land als aufgeklärter Demokrat eine Chance haben: "Ein letztes Wort, meine teuren Landsleute: falls diese kleine Schrift euer Empfinden verletzt, werft sie ins Feuer und verzeiht mir. Dann war sie nichts weiter als ein improvisiertes Gehabe, eine Debatte, weit entfernt von geheiligten Wahrheiten, zu eröffnen. Ihr wisst, wie man sich gehen lässt, sobald man zur Feder greift. Der Präsident selbst wiederholt es jederzeit: die Leute der Feder sind Elstern, denen man die Kehle durchschneiden muss ... Falls sie euch im Gegenzug behagt, verfasst Petitionen, es fehlt nicht an Gegenständen: fordert die sofortige Freilassung von Journalisten im Gefängnis ..."



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