Plädoyer für ein Leben in Wahrheit

Boualem Sansals Selbstverständnis als Autor


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Im Ausland, vor allem in Frankreich, erlebt Sansal (wie sein Alter Ego in "Erzähl mir vom Paradies") genau das Gegenteil: "Das Schwierigste an der Kunst zu schreiben ist die Vermarktung eines Buches. Zwischen zwei Bahnhöfen, zwei Hotels kann man die irrwitzigsten Dinge erleben, ohne dass je ein Ende absehbar wäre. Man kann noch soviel schreiben, man muß auch noch reden ... Doch auf Schritt und Tritt wächst die Unruhe. Man sagt immer zu viel, wagt sich weiter als nötig vor, ertappt sich dabei, wie man bald ins Anschwärzen, bald ins Ausplaudern gerät, ohne die Konsequenzen zu bedenken.

Foto: Gallimard

Möglich, dass mir etliches entschlüpft ist, große Industriegeheimnisse, Namen, Orte, Geldbeträge, Connections." Die Reisen ins europäische Ausland sind dem Schriftsteller sehr wichtig und gerne nimmt er die Einladungen zu den zahlreichen Literaturfestivals an. Weniger, um seine Bücher zu vermarkten – eine Aufgabe, die er anderen überlässt –, sondern vor allem, um in freier Rede zu diskutieren. In "offener Gesellschaft", ein Zustand, den er nicht als selbstverständlich nimmt, legt er in beeindruckender Weise über sein literarisches Schaffen hinaus von seinem Land Zeugnis ab. Er berichtet von den politischen, gesellschaftlichen und moralischen Missständen, von der alltäglichen Gewalt der Islamisten und von den subtilen Einschüchterungen der Regierung gegen Andersdenkende. Sansals Prominenz im Ausland verleiht ihm in seiner Heimat einen gewissen Schutz.

Gleichzeitig weiß er nur zu genau, wie sehr die tonangebenden Eliten in Algerien sich über jeden seiner Schritte und jede seiner Äußerungen in Europa informieren. Die Konsequenzen haben er und seine Familie nach jeder Rückkehr nach Algerien zu tragen: Zuletzt musste seine Frau ihren Beruf als Berufsschullehrerin aufgeben, weil sie die Schmähungen, die nach der Veröffentlichung von Postlagernd: Algier an der Tagesordnung waren, nicht mehr ertragen konnte.

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